Numismatik

Totenschein für 5-Mark-Münzen – eine Schlafmünzen-Glosse

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DM-Umtausch bei der Bundesbank: Streitgespräch zwischen Nostalgie und Realität

Fast jeder erinnert sich, wie die 5-Mark-Münzen aussahen – obwohl der Euro seit mehr als 17 Jahren im Portemonnaie der Deutschen angekommen ist. Doch viele mögen sich bis heute nicht so recht von ihrer geliebten D-Mark verabschieden. Und wenn beim Aufräumen vergessene Bargeldbestände auftauchen, steht ein Gang zur Bundesbank bevor, der durchaus emotional werden kann. Für den MDM-Blog fasst Sebastian Wieschowski einen besonderen Bankbesuch zu einer humoristischen Glosse zusammen.

Ich fühle mich schuldig, als ich an einem kalten Morgen im März 2019 mit einer kleinen Tüte in der Jackentasche aufbreche. Darin: Kindheitserinnerungen. Genauer gesagt: 5-Mark-Münzen. Mein Ziel: Die Niederlassung der Deutschen Bundesbank in Bielefeld. Ein paar Wochen zuvor hatte ich sie beim Aufräumen gefunden, fein säuberlich gestapelt in einer knallig-orangefarbenen Plastikröhre, wie Kinder sie in den Neunziger Jahren völlig selbstverständlich als Aufbewahrungsmittel für Bares um den Hals trugen. Damals waren die 5-Mark-Münzen ein kleiner Schatz – heute sind sie Altmetall. Oder etwas höflicher formuliert: Schlafmünzen. Weil in fast allen anderen europäischen Ländern die Umtauschfrist für die Vor-Euro-Währungen abgelaufen ist, fasse ich einen Entschluss: Der Münzfund muss in Euro getauscht werden, bevor es auch hierzulande zu spät ist.

5-Mark-Münzen als Eintrittskarte in die Welt

Die 5-Mark-Münzen waren seinerzeit für mich die Eintrittskarte in die große weite Welt. Nun, zumindest den Teil der großen weiten Welt, der einem Kind damals offenstand. Eben der Teil, den man mit fünf Mark kaufen konnte: Drei Kugeln Eis für 1,80 Mark, eine Tüte mit Klebebildchen für 50 Pfennig oder ein Überraschungsei für 79 Pfennig. Jeder Kauf wurde zu einem Erlebnis, denn es war das eigene Geld. Und was am Ende der Woche übrig blieb, wurde natürlich gespart. Denn während meiner Kindheit waren Begriffe wie „negative Realverzinsung“ oder „finanzielle Repression“ noch nicht erfunden. Keine Frage: Je weiter sich die orangefarbene Geldbombe um meinen Hals mit Münzen füllte, desto schwerer und unbequemer wurde sie, doch desto freier wurde ich.
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Vorher: 210 DM in Münzen und Banknoten.

Geistiges Streitgespräch

Auf dem Weg zur Filiale der Deutschen Bundesbank in Bielefeld entwickelt sich in meinem Kopf ein Streitgespräch, wie man es bei Maybritt Ilner im ZDF noch nie gesehen hat: Da schimpft mein Numismatiker-Ich über die Abschaffung des Bargeldes, über die schleichende Enteignung von Sparern durch die Notenbankpolitik, über die minderwertige Gestaltung des Euro-Bargeldes, das mich bis heute an Spielgeld erinnert. Und zwischen den Zeilen fällt immer wieder die Bemerkung, dass doch früher im Hinblick auf das Geld alles besser war. Nach einer fünfzehnminütigen Straßenbahnfahrt klingt die Stimme in meinem Kopf wie ein verbitterter alter Griesgram. 5-Mark-Münzen, diese wuchtigen, großen Münzen. Das fühlte sich nach einem echten Wert an. Das 2-Euro-Stück sei dagegen ein Leichtgewicht.

Die Realität sieht anders aus

Dass dieser Vergleich einer nüchternen Betrachtung nicht Stand hält, verrät Wikipedia: Während 5-Mark-Münzen ein Gewicht von zehn Gramm aufweisen, kommen die 2-Euro-Stücke auf 8,50 Gramm und sind somit nur geringfügig leichter. Und so mischt sich in die numismatische Nostalgie auch ein Funken an Realismus und Pragmatismus: Es ist schon eine Erleichterung, bei meinen regelmäßigen Reisen zu Freunden nach Österreich, in die Niederlande oder nach Frankreich nicht ständig frische Schilling, Gulden oder Francs wechseln zu müssen.
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Nachher: Der numismatische Totenschein über 107,37 Euro.

Die Eingangshalle der Bielefelder Bundesbank-Niederlassung ist die perfekte Kulisse für mein schlechtes Gewissen. Nüchtern in Weiß gehalten, kalter Marmor überall. Ich fühle mich wie in einem Bestattungsinstitut. Noch schlimmer: wie in einem Schlachthof. Das Gebäude stammt aus einer Zeit, in der man vor einer Zentralbank Respekt hatte. Einer Zeit, in der Zentralbanken nicht durch Niedrigzinsen das Vermögen von Sparern schleichend enteigneten. Die Markstücke und Banknoten in meiner Hand fühlen sich an wie die letzten Relikte aus der „guten alten Zeit“.

5-Mark-Münzen: Ikone mit Symbolkraft

Beim Warten lasse ich mein numismatisches Vorleben im Zeitraffer an mir vorbeifliegen. Es beginnt irgendwann im Kindergartenalter, als meine Großeltern mir ein Sparbuch bastelten mit Vertiefungen für die einzelnen Münzen. 5-Mark-Münzen waren mein erstes Taschengeld und haben bis heute eine geradezu ikonenhafte Symbolkraft für mich. Das Sparschwein, prominent im Kinderzimmer platziert, wurde regelmäßig befüllt und einmal im Jahr zum „Weltspartag“ auf die Bank gebracht.
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Schluss mit der numismatischen Nostalgie: „Es kann jetzt losgehen“

Eine Stimme reißt mich aus meiner morgendlichen Gedankenreise. Aus einem Lautsprecher dröhnt es. „Es kann jetzt losgehen“, sagt ein Bundesbank-Mitarbeiter aus dem Off. Ich verlasse das Atrium der Bundesbank-Filiale in Bielefeld und betrete die Wechselkabine, die etwas größer ist als eine Telefonzelle. Der eigentliche Akt dauert nur wenige Augenblicke: Ein „Geldbearbeiter“ (so werden die Beamten an der Kasse im feinsten Behördendeutsch tatsächlich bezeichnet) nimmt meine Münzen entgegen und lässt sie in den breiten Trichter eine Maschine fallen. Nun heißt es: Abschied nehmen von den Heiermännern.
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Abschiedsschmerz versüßt

Der Abschiedsschmerz wird mir ein wenig versüßt: durch einen druckfrischen 100-Euro-Schein und etwas Kleingeld, das ich nur wenige Augenblicke später entgegennehme. 210 Euro ergeben 107,37 Euro – so steht es fein säuberlich und korrekt auf der Abrechnung, die in diesem Moment wie ein Totenschein wirkt. Auf den Umtausch von zusätzlichen 2,56 Euro habe ich verzichtet. Stattdessen lege ich eine der 5-Mark-Münzen zurück. Meinem kleinen Sohn, der womöglich ganz ohne Taschengeld, aber dafür mit virtuellen Bezahldiensten aufwachsen wird, kann ich meine numismatische Leidenschaft so vielleicht etwas lebhafter vermitteln.
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Letzte Ruhestätte für meine Schlafmünzen: Die Bundesbank-Niederlassung in Bielefeld.